Wort zum Sonntag vom 29.09.2023

Danke – wofür?

Am kommenden Sonntag wird Erntedank gefeiert. Dabei wird der Altarraum in der Regel mit Früchten geschmückt, die in der Landwirtschaft und dem eigenen Garten geerntet worden sind. Brot, das aus Getreide gemacht wird, darf als Symbol nicht fehlen. Wir danken also für die Früchte, die uns ernähren. Genauer gesagt, Früchte, die den Leib ernähren. Doch was nährt uns Menschen außerdem und wofür ist ein bewusster Dank angebracht? Ich kann ja nur für mich sprechen:
ich danke für das Leben, das mir geschenkt wurde,
ich danke für meinen Körper, der mich durchs Leben trägt,
ich danke für meinen Geist, der mich denken und überdenken lässt,
ich danke für meine Seele, die mich fühlen und mitfühlen lässt,
ich danke für die Menschen, die mich lieben, begleiten und unterstützen,
ich danke für eine Arbeitsstelle, an der ich meine Begabung leben kann,
ich danke für das sichere Dach über meinem Kopf,
ich danke für die Demokratie, in der ich leben darf,
ich danke für die Vielfalt an Landschaft und Geschöpfen auf diesem Planeten.
Die Aufzählung könnte ich noch reichlich weiterführen. Doch für einen Dank will ich mir noch etwas Raum nehmen. Ich danke für einen Gott, der mich sieht und der ein liebender Gott ist. Ich danke mir dafür, dass ich mich dem christlichen Glauben öffnen und ihn annehmen konnte. Ich danke mir dafür, dass ich glauben und mich in Gottes Liebe geborgen fühlen kann. Ich danke mir dafür, dass ich dem Leben und Gottes Liebe vertrauen kann. Meistens jedenfalls. Mein Gottvertrauen ist deutlich stärker als das Vertrauen in die Menschenliebe untereinander. Damit meine ich Respekt, Toleranz, Friedfertigkeit…
In der Abschlusspredigt des Kirchentages in Nürnberg zitierte Pfarrer Quinton Ceasar den schwulen Schwarzen Schriftsteller und Aktivisten James Baldwin (1924-1987): „Die Liebe war noch nie eine Massenbewegung.“ Erstmal bin ich erschrocken über dieses Zitat und dann merke ich, wie ich dieser Aussage zustimmen muss. Gleichzeitig drängt sich mir die Frage auf: ist der Hass eine Massenbewegung? Sind Respektlosigkeit, Intoleranz, Fanatismus, Demütigung, usw. eine Massenbewegung? Wenn ich Medienberichte verfolge, auch ohne an Social Media beteiligt zu sein, könnte ich genau den Eindruck gewinnen. Massen lassen sich von Hate Speech (Hassrede) und Abwertung leichter bewegen als von Liebe und Güte füreinander.
Deswegen gilt mein Dank ganz besonders all jenen, die im altruistischen Sinne, also ohne einen eigenen Nutzen davon zu haben, Menschenliebe leben. Mein Dank gilt jenen, die sich nicht dazu hinreißen lassen, Gottes Wort zu missbrauchen, um eigene Interessen und Machtausübung zu verfolgen. Mein Dank gilt all jenen, die nicht resignieren, sondern in Gottes Liebe ein Geschenk, eine Frucht sehen, die jederzeit von Mensch zu Mensch gesät, weitergegeben und vermehrt werden kann. Wie würde unser Altarraum am Erntedanksonntag wohl aussehen, wenn wir diese Früchte sichtbar machten? Mit diesen Früchten kann Liebe zur Massenbewegung werden!

Bianca Ferse, Evangelische Kirchengemeinde Hochheim