28/11/2024 0 Kommentare
Wie die Hirten
Wie die Hirten
# Wort zum Sonntag

Wie die Hirten
Irgendwann im Frühsommer dieses Jahres sah ich, von Massenheim über dieLandstraße kommend, aus der Ferne eine Schäferin mit ihrer Schafherde.
Wartezeit passte so gar nicht in meinen eng getakteten Tag. Kurz überlegte ich zu beschleunigen und die Stelle vor der Schafherde zu passieren oder den Rückwärtsgang einzulegen und über Delkenheim nach Hochheim zu fahren. Dann aber zog mich dieses Bild, die Ausstrahlung der Schäferin und die Gelassenheit der Herde, in den Bann. Die Schäferin, die mit großer Ruhe und ebensolchem Selbstverständnis die Straße zur Hälfte querte und die Herde anleitete, ihr zu folgen. Die Tiere, die in völliger Ruhe, manchmal dicht gedrängt, manchmal in kleinen Gruppen über die Straße zogen. Die Schäferin stand, ihre Tiere beobachtend und ihnen leise zuredend am Straßenrand, sichtlich konzentriert und in sich ruhend. Und auch ich stand bzw. saß in meinem Auto da, gezwungenermaßen - Gang raus, Motor aus, auf die Herde und deren Vorbeiziehen schauend, musste bzw. durfte ich warten.
Und im Schauen breitete sich in mir ganz langsam eine Entspannung aus, die ich so den ganzen Tag über nicht verspürt und erlebt hatte. Ich war mal gedanklich nicht bei den nächsten Dingen, die es zu erledigen galt, überdachte nicht, die zahlreichen kleinen Geschehnisse dieses Tages, sondern war nur im Hier, auf der Landstraße, mit abgestelltem Motor, und schaute. Mein Leben, die sportliche Schnelligkeit des Arbeitstages und die vielen to dos des Alltags erschienen mir plötzlich sehr unwirklich und ich verspürte eine tiefe Sehnsucht nach eben dieser Ruhe, die ich vor mir wahrnahm.
Natürlich ist im Leben einer Schäferin oder eines Schäfers nicht alles eitel Sonnenschein, und neben der idyllischen Betrachtung von außen, ist deren ganzjähriger Alltag mit uns völlig fremden Notwendigkeiten, eben auch dem Wandel der Natur und des Wetters unterworfen. Aber der Zufall des Moments, in dem ich wartend und schauend in meinem Auto saß, ließ mir das karge, nach dem Rhythmus der Tiere und Jahreszeiten ausgerichtete Leben sehr verlockend erscheinen.
Mit den letzten Tieren die die Landstraße querten, kehrte ich aus dieser kleinen Auszeit in die tägliche Gedankenroutine und in den Dienstmodus zurück. Ganz zart blieb jedoch das Herzensbedürfnis, nach mehr solcher Zufälle, in denen man sich scheinbar in einem Vakuum befindet und nur wenige Minuten lange keine Entscheidung treffen muss. Und die Dankbarkeit, diesen Moment geschenkt bekommen zu haben, und darauf vertrauen zu dürfen, dass dieser Zufall, der mich aus der Schnelligkeit des Tages nahm, vielleicht gar kein Zufall war, sondern mir geschickt wurde und mich nun mit einem warmen Gefühl der Zuversicht begleiten würde.
Auch in der Weihnachtsgeschichte scheint es fast so, als wäre alles einem Zufall geschuldet, als der Engel in der Tiefe der Nacht den verschreckten Hirten begegnet und ihnen verkündet, dass der Heiland geboren sei. Die Hirten unterbrachen das was sie taten im Vertrauen auf das Wort des Engels, darauf dass Christus geboren sei und beschlossen nach Betlehem zu gehen, um sich selbst ein Bild davon zu machen, was ihnen verkündet worden war. Es gab keinen Stern, dem sie folgen konnten, sie machten sich einfach auf den Weg, gingen Schritt für Schritt durch die Nacht, geleitet von den Worten des Engels und der Zuversicht, die in diesen lag, und fanden schließlich alles so vor, wie es der Engel ihnen prophezeit hatte - Maria und Josef mit dem Kind im Stall. In dem Kind erkannten die Hirten staunend Gottes Sohn. Erfüllt von dem Gefühl der Dankbarkeit, dass Gott sein Versprechen einlöste und sie über die Botschaft des Engels daran teilhaben durften zogen sie hinaus und verkündeten voller Freude allen, was sie erlebt hatten.
Vielleicht braucht es mehr dieser Zufälle in unserem Leben, die uns innehalten lassen oder uns kurzzeitig aus der Schnelligkeit des Alltags nehmen. In denen wir uns im Hier und Jetzt Zeit geben und uns gedanklich aus den nächsten Notwendigkeiten und anstehenden Entscheidungen lösen können. Womöglich müssen auch wir gar nicht immer oder gerade jetzt, in diesem Moment wissen wie es weitergeht. Sondern können, wie die Hirten, im Vertrauen darauf nicht alleine zu sein und darauf, dass uns etwas Wunderbares erwartet, langsam Schritt für Schritt gehen.
Eventuell geschieht ja einer dieser kostbaren Momente, wenn wir es zulassen und uns darauf einlassen, im Advent, in der Vorbereitung auf Weihnachten.
Svenia Bormuth, Evangelische Kirchengemeinde Hochheim
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